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Wilde Flüsse bieten Lebensraum für eine Vielzahl von Pflanzen- und Tierarten und leisten einen wichtigen Beitrag zu gesunden Ökosystemen. Aufgrund des zunehmenden Drucks durch menschliche Aktivitäten verschwinden wilde Flüsse weltweit in einem extrem schnellen Tempo. Das Citizen Science-Projekt «Wild River» hat zum Ziel, diesem Trend entgegenzuwirken. Der Forscher Shuo Zong erzählt uns, wie er das erreichen möchte, worum es beim Projekt geht und warum es schon jetzt ein grosser Erfolg ist.
Ursina Roffler: Mr. Shuo Zong, können Sie kurz zusammenfassen, worum es bei dem Citizen Science-Projekt «Wild River» geht, wie Citizen Scientists daran beteiligt sind und wie es zu einem besseren Schutz der Flüsse beitragen soll?
Shuo Zong: Das «Wild River»-Projekt ist ein Citizen Science-Projekt, das Crowd Intelligence, künstliche Intelligenz und Satellitenbilder einsetzt, um die Wildheit grosser Flüsse weltweit zu bewerten. Unser Ziel ist es, eine umfassende Bestandskarte der grossen Flüsse weltweit zu erstellen, die den aktuellen Zustand ihrer Wildheit aufzeigt. Citizen Scientists spielen bei diesem Projekt eine entscheidende Rolle, indem sie an einem einfachen, aber effektiven Verfahren teilnehmen: Sie bekommen zwei Bilder von Flüssen vorgelegt und werden gebeten, zu entscheiden, welcher Fluss wilder ist. Anhand zahlreicher paarweiser Vergleiche weist unser Ranking-Algorithmus jedem Bild einen Wildheitswert zu. Mit diesem innovativen Tool können wir Flussabschnitte identifizieren, die noch unberührt und schützenswert sind, sowie solche, die stark beeinträchtigt sind. Die daraus resultierende Karte wird unschätzbare Erkenntnisse für den Naturschutz liefern und gezielte Massnahmen zum Schutz und zur Wiederherstellung der verbleibenden wilden und halbwilden Flüsse sowie zur Überwachung der Entwicklung der Flüsse weltweit ermöglichen. Darüber hinaus werden wir möglicherweise unerwartet beeinträchtigte Flüsse in bisher als unberührt geltenden Gebieten entdecken, wie z. B. an einigen Orten in Südamerika und Afrika, wo Bergbau, Abholzung und Urbanisierung erhebliche Auswirkungen hatten. Dieses Wissen wird uns helfen, Prioritäten für unsere Strategie zum Schutz der Flüsse zu setzen und wirksame Massnahmen zum Schutz dieser lebenswichtigen Ökosysteme zu ergreifen.
Die Beteiligung war ein grosser Erfolg - über 150'000 Beiträge kamen in nur 12 Wochen zusammen, herzlichen Glückwunsch! Haben Sie Tipps und Tricks für andere Projekte, wie man die Teilnehmenden so motivieren kann, dass sie mit so viel Elan und Begeisterung mitmachen?
Am Anfang war es herausfordernd, weil wir viele Aktionen durchführen mussten, um die Menschen auf das Projekt aufmerksam zu machen. Glücklicherweise konnte ein Kollege aus Frankreich, der Erfahrungen mit ähnlichen Citizen Science-Projekten an Korallenriffen hatte, uns sein Netzwerk von begeisterten Citizen Scientists vermitteln, was eine grosse Hilfe war.
Wir haben auch festgestellt, dass interaktive Meetings, wie z. B. persönliche Treffen oder sogar Zoom-Sitzungen, entscheidend waren, um zu zeigen, wie das Projekt funktioniert. Dieser Ansatz half den Menschen, das Projekt zu verstehen, weckte ihr Interesse und ermutigte sie, sich erneut zu beteiligen, wenn sie die Gelegenheit dazu hatten. Da es sich bei unserem Projekt um ein rein digitales Projekt handelt, war eine physische Beteiligung nicht erforderlich, aber die interaktiven Sitzungen waren dennoch von grosser Bedeutung.
Es gibt zusätzliche Strategien, die wir hätten anwenden können, um die Beteiligung zu erhöhen, wie z. B. eine Wettbewerbskampagne mit kleinen Preisen. Ich glaube, dieser Ansatz hätte die Teilnehmenden noch mehr motiviert. Allerdings hätten wir auch eine sorgfältigere Qualitätskontrolle durchführen müssen.
Was sind die ersten Ergebnisse der Studie?
Durch die Anwendung unseres Ranking-Algorithmus auf die Citizen Science-Datensätze konnten wir jedem Flussbild einen Wildheitswert zuweisen. Anschliessend haben wir diese Orte kartiert und die Wildheitswerte mit hochauflösenden Satellitenbildern verglichen. Die Ergebnisse waren intuitiv konsistent und vernünftig, und wir haben sie auch mit der aktuellen Bodenbedeckung und den menschlichen Aktivitäten aus dem aktuell verfügbaren Datensatz abgeglichen. Interessanterweise stellten wir fest, dass es nur eine begrenzte Überschneidung zwischen unseren Wildheitswerten und diesen vorhandenen Datensätzen gab, insbesondere in halbwilden und wilden Regionen. Ausserdem ergab unsere Analyse einen besorgniserregenden Trend: Wie auf der Karte unten dargestellt, ist an vielen Orten in Australien, Südamerika und Afrika der Zustand der Flüsse aufgrund menschlicher Aktivitäten wie Landwirtschaft und Bergbau nicht mehr gut. Diese Ergebnisse geben Anlass zu grosser Sorge und unterstreichen die Notwendigkeit gezielter Schutzmassnahmen.
Was sind die nächsten Schritte des Projekts? Wie wird es weitergehen?
Wir haben nun dank unserer Citizen Scientists ein Deep-Learning-Modell auf der Grundlage dieses einzigartigen Datensatzes trainiert. Die Auswertung des Modells hat bereits gezeigt, dass es sehr gut funktioniert. Wir werden das Modell weiter optimieren. Sobald das Modell fertig ist, werden wir Vorhersagen für alle grossen Flüsse auf der Welt treffen, um eine Bestandsaufnahme der Wildflüsse zu erstellen. Mit Hilfe von Satellitenbildern können wir auch Prognosen für die nächsten 5-10 Jahre erstellen, um zu sehen, welche Flüsse sich in den letzten Jahren stark verändert haben.
Das Projekt wird mit dem Project Builder durchgeführt - einem der digitalen Tools, die Citizen Science Zürich für die Datenanalyse zur Verfügung stellt. Warum haben Sie sich für dieses Tool entschieden und welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Der Project Builder von Citizen Science Zürich ist wirklich ein grossartiges, sehr praktisches Tool, das sich als unschätzbares Hilfsmittel für mein Projekt erwiesen hat. Ursprünglich war ich auf der Suche nach einer Plattform, die eine Ranking-Aufgabe aufnehmen konnte, aber die meisten Citizen Science-Plattformen boten nur Aufgaben wie Bildbeschriftung und Objektauswahl für visuelle Aufgaben an.
Ich war sehr erfreut, dass Citizen Science Zürich den Project Builder an meine speziellen Bedürfnisse anpassen konnte. Generell ist das Tool für die Teilnehmenden einfach zu bedienen, was für die Förderung einer breiteren Beteiligung und des Engagements wichtig ist. Ich hatte wenige technische Probleme mit dem Tool, als viele Citizen Scientists gleichzeitig mitmachten.
Was sind die Highlights und Erkenntnisse, die Sie persönlich aus dem Projekt mitnehmen?
Citizen Science in Verbindung mit künstlicher Intelligenz ist ein grossartiger Weg, um Erhaltungsmassnahmen umzusetzen, denn es gibt viele Möglichkeiten und Potenziale zu entdecken. Wir können ähnliche Ansätze für andere Erhaltungsbemühungen mit Citizen Science, maschinellem Lernen und Remote Sensing anwenden.
Entscheidend für unser Projekt war es auch, die richtige Zielgruppe von Citizen Scientists zu finden, d. h. Teilnehmende, die über die richtigen Fähigkeiten verfügen und ausreichend motiviert sind, am Projekt teilzunehmen.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Zu Shuo Zong: Shuo hat eine grosse Leidenschaft für sich schlängelnde Flüsse, Canyons und Mündungslandschaften. Er liebt es, diese Naturwunder zu erforschen und zu fotografieren. Er ist derzeit Doktorand im Bereich des Biodiversitäts-Monitorings in Flüssen mit Umwelt-DNA, Remote Sensings und maschinellem Lernen am D-USYS der ETH Zürich.
Redaktion: Ursina Roffler
Das Interview wurde schriftlich und auf Englisch geführt.