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Citizen Science Zürich

  • Chantal Britt

    Chantal Britt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kompetenzzentrum für partizipative Gesundheitsversorgung der Berner Fachhochschule, Gründerin und Präsidentin von Long Covid Schweiz und Patientenfürsprecherin.

Lasst Bürger*innen an Forschung teilhaben!

Öffentliches Engagement wird in Wissenschaft und Forschung oft mit Wissenschaftskommunikation gleichgesetzt, beispielsweise der Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen über verschiedene Medien oder an öffentlichen Veranstaltungen. Während dies wichtige Ansätze sind, um eine breitere (interessierte) Öffentlichkeit über neuste wissenschaftliche Erkenntnisse zu informieren, haben die Universität Zürich und die ETH Zürich zusätzliche Möglichkeiten für die Beteiligung von Bürger*innen geschaffen: Das gemeinsame Kompetenzzentrum für Citizen Science - Citizen Science Zürich - fördert und unterstützt den aktiven Einbezug von Bürger*innen in Forschungsprojekte, bietet Forschenden und Bürger*innen Möglichkeiten zur Weiterbildung und Vernetzung sowie Mitbestimmungsmöglichkeiten als Mitglied des Kompetenzzentrums oder im Rahmen von Auswahlkommissionen und Beiräten.

Dieser Artikel ist Teil einer Serie der LERU Focus Group Public Engagement mit dem Ziel, Forschenden, zivilgesellschaftlichen Akteuren und Bürger*innen die Vielfalt von Teilnahme- und Teilhabemöglichkeiten an Forschung aufzuzeigen und diese anzuregen, ebenfalls aktiv zu werden.

Für den Artikel sprachen Olivia Höhener und Chantal Britt über die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung im Allgemeinen und der Patientenbeteiligung im Besonderen, über den Wert «angewandter» Erfahrungen für Forschung und über Citizen Science als möglichen Karriereweg.

Weiterführende Informationen

Was ist Citizen Science?

«Citizen Science» bezeichnet die Beteiligung von Mitgliedern der Öffentlichkeit («Bürger*innen») am wissenschaftlichen Forschungs-prozess. Es ist eine Form der Öffentlichkeitsbeteiligung, die in vielen Disziplinen angewandt wird und verschiedene Bezeichnungen hat, wie z. B. Bürgerwissenschaft, Gemeinschaftsforschung, Aktions-forschung, Crowdsourcing und andere. Citizen Science unterscheidet sich je nach Forschungsgebiet und in Bezug auf die Prozessgestaltung, den Grad der Beteiligung und die Art der Einbindung. Sie umfasst sowohl Top-Down-Ansätze, die von Forscher*innen vorangetrieben werden, als auch Bottom-Up-Praktiken, die von einer (lokalen) Community ausgehen.

Wer ist ein*e Citizen Scientist?

Ein*e «Citizen Scientist» ist ein Mitglied der allgemeinen Öffentlichkeit, das sich aktiv an Forschung beteiligt, entweder in Partnerschaft oder in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen oder unter deren Leitung. Der Begriff «Bürger*in» ist in diesem Zusammenhang weit gefasst und bezieht sich auf Menschen mit einem breiten Spektrum an Kenntnissen und Fähigkeiten, die eine formale wissenschaftliche Ausbildung haben können oder auch nicht. Er steht im Gegensatz zu «Wissenschaftler*innen», die eine formale akademische Ausbildung in dem spezifischen Forschungsbereich des Citizen Science-Projekts erhalten haben und in einer Forschungs-einrichtung arbeiten.

Olivia: Chantal, seit Deiner Teilnahme am Citizen Science-Projekt «Long Covid Citizen Science Board» bist Du eine der wenigen, öffentlich sichtbaren Citizen Scientists in der Schweiz. Was braucht es Deiner Meinung nach, damit Bürger*innen aktiv an der Forschung teilnehmen und dazu beitragen können?

Chantal: Eine Voraussetzung für Citizen Science ist eine proaktive Wissenschaftskommunikation, ein offener Dialog zwischen der Forschungsgemeinschaft und der Gesellschaft über verschiedene Formate und Kanäle. Dazu muss es eine Plattform für den Austausch zwischen Forschenden und Bürger*innen geben, auf der Forschende ihre Ergebnisse erläutern und Fragen der Öffentlichkeit beantworten, und Möglichkeiten, bei denen sich die Bürger*innen willkommen fühlen, ihre Bedenken, Ideen und Bedürfnisse zu äussern.

Hast Du dafür ein Beispiel?

Eine Rheumatologin des Universitätsspitals Zürich organisierte für ihre Patient*innen einen Tag der offenen Tür in einem Forschungslabor. Ärzt*innen und Forschende stellten ihre Projekte vor, beantworteten Fragen, erklärten ihre Arbeit und führten verschiedene praktische Experimente im Labor durch. Ziel der Veranstaltung war es, einen Dialog in Gang zu bringen, Patientenpartner*innen für Forschungsprojekte zu gewinnen und Rückmeldungen zu Symptomen und Behandlungen von erfahrenen chronisch Kranken zu erhalten. Was mir besonders gut daran gefiel, war, dass die Ärzt*innen den Teilnehmenden auch die Möglichkeit boten, ihre Fragen, Vorschläge oder Forschungsideen in einen Briefkasten einzuwerfen. Anschliessend versuchten die Ärzt*innen, diese Anfragen mit einer/m Forschenden aus ihrem Team zusammenzubringen. Diese Aktivitäten waren dank einer engagierten Ärztin mit einer offenen Grundhaltung möglich – ich wünschte, es gäbe mehr solcher Bemühungen.

Du selbst hast einen interessanten Karriereweg in der Citizen Science eingeschlagen. War das geplant oder eher ein Zufall?

In meinem Fall war ein Karriereweg in der Citizen Science nicht als solcher geplant. Ich war jedoch über 15 Jahre im Wissenschaftsjournalismus bei Bloomberg News und Swissinfo.ch tätig und über 8 Jahre in der Wissenschaftskommunikation und Kommunikationsberatung für Unternehmen und NPOs in den Bereichen Gesundheit, Medizin und Forschung. Ich hatte also schon immer eine Affinität zur Wissenschaft, und in all meinen Jobs fühlte ich mich bereits als Vermittlerin zwischen Wissenschaftler*innen und der Öffentlichkeit, die versuchte, die Begeisterung der Wissenschaftler an Laien weiterzugeben und gleichzeitig die Anliegen, Fragen und Bedürfnisse der Öffentlichkeit an die Forscher weiterzuleiten. Als ich während der Pandemie an Covid19 erkrankte, kamen mir meine Kommunikations- und Übersetzungsfähigkeiten zugute, und ich sah es als meine Pflicht an, zwischen Patient*innen und Forschenden, Ärzt*innen und Therapeut*innen zu vermitteln. Ich nahm über soziale Medien direkt Kontakt zu Forschenden auf, um im Namen von Patient*innen Fragen zu stellen und Feedback zu Forschungsergebnissen zu geben. Dieser direkte Austausch war nicht nur wichtig, weil er es den Forschenden ermöglichte, ihre Ergebnisse zu validieren, und uns, anderen Betroffenen zu helfen, sondern auch, weil er uns als Citizen Scientists stärkte. Wir lernten, dass unsere Beiträge, unsere Erfahrungen, Beobachtungen, Fragen und Rückmeldungen für die Forschenden wertvoll und relevant waren. Es war ganz natürlich, dass sich Partnerschaften entwickelten und das Long Covid Citizen Science Board ist ein Beispiel dafür. In gewisser Weise waren es also äussere Umstände, die uns alle dazu brachten, Teil von Citizen Science zu werden.

Du erwähnst, dass Dein Beitrag und Deine Erfahrung von Forschenden geschätzt wurden. Kam ein Teil dieser Anerkennung auch aus der Wissenschaft selbst – für Deine angewandten Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten? Gab oder gibt es heute Perspektiven und Möglichkeiten der Qualifizierung für Citizen Scientists?

Die Teilnahme oder Mitarbeit an Citizen Science-Projekten ist für die meisten Bürger*innen immer noch ein Hobby. Die Hauptgründe dafür sind erstens ein Mangel an finanziellen Mitteln für Citizen Science oder partizipative Forschungsprojekte im Allgemeinen. Zweitens die, wie wir es nennen könnten, ungünstigen Arbeitsbedingungen: Die Mitarbeit der Bürger*innen ist oft unbezahlt, schlecht bezahlt oder die Vergütung besteht aus einem Gutschein. Unsere Qualifikationen und Fähigkeiten werden von den akademischen Partnern oft nicht anerkannt. So gerne ich alles auf die Karte Citizen Science setzen würde, die Bedingungen sind noch nicht so, dass man eine Karriere als Bürgerwissenschaftler*in in der Schweiz wirklich in Betracht ziehen könnte. Was die Qualifizierungsmöglichkeiten angeht, so ändert sich das langsam. EUPATI Schweiz und die Universität Basel organisieren seit 2023 eine Schweizer Ausbildung für Patientenexpert*innen. Laien haben damit die Möglichkeit zu lernen, wie Forschung funktioniert, und bekommen das nötige Fachwissen vermittelt, um gemeinsam mit Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen entscheidende Fragen zu neuen Forschungsprojekten zu diskutieren und die Sichtweise der Betroffenen einzubringen.

Weiterführende Informationen

Long Covid Citizen Science Board

Mehr zu Long Covid Citizen Science Board

Betroffene von Long Covid und dem Chronic Fatigue Syndrome identifizierten mit Unterstützung von Forschenden der UZH für sie relevante Forschungsfragen und erarbeiteten eine Forschungsagenda für die Schweiz.

Blogartikel: Forschen mit und für Betroffene

Mehr zu Blogartikel: Forschen mit und für Betroffene

Ein Gespräch mit Chantal Britt und Milo Puhan über das Projekt «Long Covid Citizen Science Board».

Citizen Science Seed Grants

Mehr zu Citizen Science Seed Grants

Wir vergeben Seed Grants für die Entwicklung und Durchführung von Citizen Science-Projekten. Damit schaffen wir Anreize für partizipative Forschung und fördern die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. 

Bei Citizen Science Zürich geben wir mit unseren Seed Grants Teams aus Forschenden der Universität Zürich und der ETH Zürich und Bürger*innen die Möglichkeit, gemeinsam partizipative Pilotprojekte zu entwickeln und umzusetzen. Vorrang haben Projektanträge, die neben der Aussicht auf exzellente Forschung ein gesellschaftliches Thema aufgreifen und die Erfahrungen der Bürger*innen als spezifische Expertise anerkennen. Es erscheint mir nur logisch, dass Bürger*innen auch im Auswahlkomitee für die Mittelvergabe vertreten sind – mit einer gleichberechtigten Stimme. Wie sieht es Deiner Meinung nach mit der Vertretung von Bürger*innen und Patient*innen in ähnlichen Entscheidungsprozessen aus?

Die Europäische Union verlangt die Beteiligung der Patient*innen und der Öffentlichkeit (auf Englisch Patient and Public Involvement - PPI) in vielen ihrer Gremien, und in Grossbritannien und Skandinavien ist PPI ein weithin etabliertes und akzeptiertes Konzept. In der Schweiz ist PPI jedoch bei weitem noch nicht so fest verankert oder angemessen formalisiert. Dies ist etwas überraschend, da es sich bei der Schweiz ja um eine direkte Demokratie handelt. Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) und das Schweizerische Netzwerk für personalisierte Gesundheit (SPHN) verlangen PPI für einige ihrer Förderungsausschreibungen, aber die Schweizer Institutionen haben sich das Konzept der PPI bislang nicht wirklich zu eigen gemacht. Verpflichtungen, Anforderungen, Anleitungen, Strukturen und Unterstützung für die aktive Beteiligung von Laien an der Forschung, an regulatorischen Prozessen, an der Entscheidungsfindung oder an der Entwicklung von Strategien sind nach wie vor nur minim vorhanden.

Vor zehn Jahren wurde mir gesagt, dass die Wissenschaft und insbesondere die Hochschulen nie Interesse am Einbezug von Bürger*innen haben werden. Alleine schon die Existenz von Citizen Science Zürich beweist das Gegenteil. Aber: Während ich einerseits sehe, wie motiviert und engagiert viele Forscher*innen sind, Bürger*innen als Partner*innen und Mitforschende in ihre Forschungsprojekte einzubeziehen, so bleibt andererseits nach wie vor die Anerkennung in Form von Ressourcen und Karrieremöglichkeiten aus. Dies gilt nicht nur für Citizen Scientists, sondern insbesondere auch für akademisch Forschende. Wenn wir spontan drei Empfehlungen an die Politik, die Wissenschaft und die Öffentlichkeit formulieren möchten, wie Citizen Science und partizipative Forschung vorangebracht werden können, wie würden diese lauten?

An die Politik: Bezieht in Ausschreibungen Projekte ein, die darauf abzielen, die Öffentlichkeit durch partizipative Methoden und Citizen Science aktiv einzubeziehen. Beurteilt bei der Auswahl die Qualität der Zusammenarbeit, denn eine aktive Beteiligung erleichtert neben dem Wissenstransfer auch die Umsetzung von Strategien und Massnahmen.

An die Wissenschaft: Macht ein aktives Engagement für die Bevölkerung zur Voraussetzung für Professuren. Investiert in angemessen ausgestattete und dauerhafte Beratungs- und Koordinationsstellen für partizipative Forschung und den Einbezug von Bürger*innen. Diese reduzieren den individuellen Aufwand für jede/n Forscher*in und helfen gleichzeitig, partizipative Projekte zu professionalisieren. Und öffnet Eure Strukturen und Prozesse für Bürger*innen im allgemeinen und Citizen Scientists im Besonderen: Ermöglicht die Teilnahme an Entscheidungsprozessen und Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen, stellt Ehrenamtszertifikate aus, ermöglicht den Zugang zu Fördergeldern und bezahlten Positionen.

An die Öffentlichkeit: Zögert nicht, Euch an Forschung zu beteiligen, nur weil Ihr denkt, Ihr wüsstet vielleicht nicht genug. Es geht meist genau nicht darum, dasselbe Wissen wie akademisch Forschende einzubringen. Eure persönlichen Erfahrungen und Euer Alltagswissen sind für Forschende relevant und wertvoll. Citizen Science ist ein gemeinsamer Lernprozess - und macht eine Menge Spass!

Zu Chantal Britt: Sie hat am durch einen Seed Grant geförderten Projekt Long Covid Citizen Science Board mitgearbeitet und ist seit 2024 assoziiertes Mitglied von Citizen Science Zürich. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kompetenzzentrum für partizipative Gesundheitsversorgung der Berner Fachhochschule, Gründerin und Präsidentin von Long Covid Schweiz und Patientenfürsprecherin.

Zu Olivia Höhener: Sie ist die Geschäftsleiterin von Citizen Science Zürich. Sie studierte Geschichte, Anglistik und Medienwissenschaften an der Universität Basel und absolvierte ein CAS in Research Management an der Universität Bern. Vor ihrer Tätigkeit an der UZH arbeitete sie mehrere Jahre in den Bereichen Forschungsförderung, Wissenschaftskommunikation, Nachwuchsförderung und internationale Zusammenarbeit.

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