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Schlangen zu identifizieren kann für Biolog*innen, Mediziner*innen und die Öffentlichkeit eine Herausforderung sein und fatale medizinische Folgen bei einer falschen Identifizierung von Giftschlangen mit sich führen. Im Rahmen der Snake-ID Challenge sammelte ein Forschungsteam Daten zur Identifizierung von 100 Schlangenarten. Ziel war es, zu untersuchen, wie gut Online-Communities Schlangen anhand von Fotos identifizieren können. Während dem einwöchigen Citizen Science Online-Anlass nahmen mehr als 1000 Interessierte aus der ganzen Welt teil. Das Forschungsteam veröffentlichte seine Ergebnisse erst kürzlich im Royal Society Journal.
Gemäss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verursachen Giftschlangenbisse jedes Jahr zwischen 81 000 und 138 000 Todesfälle und führen zu etwa dreimal so vielen dauerhaften Beeinträchtigungen. Betroffen ist vor allem die ärmere und ländliche Bevölkerung in Teilen der Welt, in denen die Schlangenvielfalt am grössten ist – nämlich in Afrika, Asien und Lateinamerika. Die Anzahl bekannter Schlangenarten steigt rasant an und wird im Jahr 2030 voraussichtlich die 4000-Marke erreichen. Gleichzeitig kann die lokale Bevölkerung in den gefährdeten Gebieten meist nur eine Handvoll Arten identifizieren, und selbst professionelle Herpetologen verfügen häufig nur über das Fachwissen in einem bestimmten geografischen Gebiet oder einer spezifischen taxonomischen Gruppe. Darüber hinaus ist der Zugang zu Ressourcen für das Gesundheitspersonal in diesen Gebieten oft begrenzt.
Ein Team aus nationalen und internationalen Forscher*innen, welches eng mit der WHO und Médecins Sans Frontières zusammenarbeitet, entwickelt benutzerfreundliche Tools zur Identifikation von Schlangen. Dabei kommt eine Kombination aus menschlicher und künstlicher Intelligenz zum Einsatz. Ihr Ziel ist es, Ärzt*innen bei der Behandlung von Schlangenbissen zu unterstützen, die Bevölkerung aufzuklären und zu schulen und gleichzeitig den Artenschutz zu verbessern und Wissenschaftler*innen bei der Entdeckung neuer Schlangenarten zu helfen. Mit der Snake-ID Challenge wurde untersucht, wie gut Online-Communities Schlangen anhand von Fotos identifizieren können. Darüber hinaus wollte das Forschungsteam die relative Bedeutung der Hauptfaktoren verstehen, welche die Identifikation beeinflussen können (Geographische Lage, Fotoqualität, Schlangentaxonomie, Variation unter den Teilnehmenden) und auch die potenzielle Rolle von Citizen Science und Crowdsourcing bei der Unterstützung der Epidemiologie und des Managements von Schlangenbissen bewerten.
Auf unserer Citizen Science Plattform führten wir zwei Online-Challenges zur Schlangenidentifizierung durch, einmal im März 2019 und einmal im November desselben Jahres. In jeder Challenge wurden den Teilnehmenden Fotos von weit verbreiteten Schlangenarten aus der ganzen Welt gezeigt. Diese konnten auf Art-, Gattungs- oder Familienebene identifiziert werden. Als Teil des Gamification-Ansatzes erhielten die Teilnehmenden Extrapunkte für jede korrekte Identifizierung eines Fotos. Während die Teilnehmenden unbegrenzt Zeit für die Identifizierung hatten, wurde ihre Reaktionszeit zu Analysezwecken gemessen. Die höchsten Punktzahlen wurden auf der Plattform angezeigt, um die Teilnehmenden zu motivieren, möglichst viele Fotos zu identifizieren. Und die drei Teilnehmenden mit der höchsten erreichten Punktzahl erhielten ein Buch als Preis.
Über den Zeitraum von sechs Tagen reichten insgesamt 1027 Teilnehmende 117 897 IDs ein. Die Teilnehmenden kamen aus 49 Ländern, wobei eine Mehrheit aus Nordamerika und Europa stammte. 24% von ihnen identifizierten jeweils mehr als 80 Fotos, wobei die Identifizierungsgenauigkeit zwischen den einzelnen Teilnehmende, Schlagenarten und Fotoqualitäten erheblich variierte. Die geschicktesten Teilnehmenden waren in der Lage, 81% der Fotos auf Arten-, 89% auf Gattungs- und 95% auf Familienebene korrekt zu identifizieren!
Die Ergebnisse zeigen das Potenzial einer grossen und aktiven Community bestehend aus Expert*innen und erfahrenen Amateuren, Schlangen schnell und genau auf Fotos zu identifizieren. Dabei hatten sowohl die geographische Herkunft des Fotos als auch seine Qualität nur einen geringen bis mässigen Einfluss auf die Identifizierung. Was darauf hindeutet, dass selbst relativ schlechte Fotos, die mit Smartphone-Kameras mit geringer Auflösung oder unter den eiligen Umständen eines Schlangenbisses aufgenommen wurden, identifizierbar sein und nützliche Informationen liefern können.
Insgesamt zeigten die Teilnehmenden grossen Enthusiasmus und viel Engagement. Die Studie liefert somit den Beweis, dass innovative Citizen Science / Crowdsourcing-Ansätze eine wichtige Rolle bei der Schulung und dem Aufbau von Kapazitäten spielen können. Darüber hinaus könnte die Einbindung von qualifizierten Schlangenkenner*innen in die Entscheidungsfindung die Fähigkeit von Gesundheitspersonal stärken, Schlangen schneller, spezifischer und genauer zu identifizieren. Und letztendlich dazu führen, dass die Daten und Ergebnisse der Behandlung von Schlangenbissen verbessert werden.
Die North Carolina Snake-ID Challenge ist die erste von weiteren geplanten regional ausgerichteten Folgeveranstaltungen zu dem hier vorgestellten Artikel. Sie wird in Zusammenarbeit mit dem North Carolina State Museum of Natural Sciences in Raleigh, North Carolina, veranstaltet, welches jedes Jahr einen Reptilien und Amphibien Tag (dieses Jahr virtuell) organisiert. Dieser Event zieht normalerweise mehr als 50 000 Personen aus dem gesamten Südosten der USA an. In North Carolina gibt es 38 Schlangenarten, von denen sechs giftig sind. Häufig werden sie aber falsch identifiziert. Die Challenge startet am 8. März mit einer Videoeinführung. Dr. Andrew Durso wird am 12. März einen Workshop geben, um die bis dahin gesammelten Daten zu präsentieren, bevor die Challenge am 21. März endet. Die drei Teilnehmenden, welche die meisten Schlangen richtig identifizieren, erhalten das Buch “Amphibians and Reptiles of the Carolinas and Virginia”.
Für mehr Informationen und Teilnahme an der Challenge, bitte hier entlang!
Der publizierte Artikel ist hier abrufbar (nur auf Englisch verfügbar): https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rsos.201273
Ursina Roffler