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Am diesjährigen «Forum Citizen Science», das vom 29. bis 30. November 2023 in Freiburg im Breisgau stattfand, wurde schnell klar, dass Citizen Science schon längst Schule macht: der Raum der diesbezüglichen Arbeitsgruppe war bis auf den letzten Stuhl belegt. Welche Projekte gibt es an Schulen? Wie gestaltet sich die Umsetzung? Und was braucht es alles dafür? Dies und mehr erfahrt Ihr in diesem Artikel.
Es war ein kalter Novembermorgen in Freiburg als sich die 55 Teilnehmenden der Arbeitsgruppe, angeregt von den Workshops und Präsentation des Vortags, im Stadthotel in Freiburg trafen. Einige von ihnen waren schon lange unterwegs an der Schnittstelle von Citizen Science und Schule. Andere waren recht neu dabei. In der Vorstellungsrunde wurde deutlich: die Praktiker*innen aus unterschiedlichsten Berufsfeldern und Arbeitskontexten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz bringen eine beeindruckende Palette an Erfahrungen und Perspektiven mit. Dies legte den Grundstein für einen regen und produktiven Austausch zwischen Forscher*innen, einer pensonierten Lehrkraft, Citizen Scientists, Mitarbeiter*innen in Archiven, Bibliotheken und NGOs sowie zahlreichen weiteren Citizen Science Expert*innen, die in Schüler*innenlaboren und anderen Lernumgebungen tätig sind. Mit spürbar viel Engagement treiben sie auf nationaler und internationaler Ebene die Förderung schulischer Citizen Science-Initiativen vorran. Und das mit Erfolg.
Eingereiht hatte sich auch Preisträgerin Julia Binder vom Forschungsnetzwerk «Agroforst-Monitoring» der Universität Münster.1 Und dies aus gutem Grund. Gemeinsam mit ihren Kollegen Linus Schürmann, Thomas Middelanis sowie zahlreichen Praxispartner*innen aus der Bevölkerung entwickelte Julia Binder ein Projekt, welches nicht nur Studierende zum Lernen auf den Acker lockt, sondern auch für Kinder und Jugendliche einen spannenden ausserschulischen Lernort geschaffen hat. «Agroforst» - dieser Begriff steht für das Aufeinandertreffen von Agrarfläche und Gehölzen, wie dies beispielsweise bei den herkömmlichen Streuobstwiesen der Fall ist. Im Projekt erforschen die Teilnehmenden anhand von 8 Dimensionen die Besonderheiten und Vorteile von Agroforstsystemen, was soziale Aspekte ebenso beinhaltet wie Betriebswirtschaft und Management, und Mikroklima. Stellvertretend für die Projektgruppe nahm Julia Binder am diesjährigen «Citizen Science Forum» den mit 5.000€ dotierten Forschungspreis für Citizen Science «Wissen der Vielen» entgegen.
Zahlreiche weitere Teilnehmende stellten im Rahmen des Treffens ihre Citizen Science-Projekte und Initiativen für Schüler*innen vor. Hier einige Projekte beispielhaft: «Kolonialismus heute?! Was hat das mit mir zu tun?», «Undercover Eis Agenten», «Sprachchecker» und «Nitratscouts». Diese beeindruckende Vielfalt von laufenden Angeboten erweckt den Eindruck, dass es sich bei Citizen Science-Formaten an Schulen um einen Selbstläufer handelt. Die Vorteile und Chancen liegen zudem auf der Hand: Schüler*innen erhalten Zugang zu aktuellen Forschungsprojekten und gewinnen so die Gelegenheit, wertvolle Erfahrungen zu sammeln, sich praxisnah mit komplexen Themen zu beschäftigen und verstehen idealerweise, wie es aussehen kann, mittels unterschiedlichster Forschungsmethoden Wissen zu schaffen. Solche Projekte können eine willkommene Abwechslung zum ansonsten recht uniform ablaufenden Schulalltag bieten und eine Brücke zwischen alltagsrelevanten Themen und Problemlagen, Forschung und Schulunterricht schlagen.
Bei dieser Vielzahl an Anreizen sollte es doch ein leichtes sein, Citizen Science-Vorhaben an Schulen zu realisieren! Hinter dem sichtbaren Erfolg der laufenden Projekte verbirgt sich jedoch jede Menge unsichtbarer Einsatz, vor allem zeitlicher. Denn wie in allen Vorhaben, die diverse Teilnehmende aus unterschiedlichen Kontexten zusammenbringen, liegt der Schlüssel zum Erfolg im Aufbau vertrauensvoller Beziehungen zwischen den inter-institutionellen Praxispartner*innen, im gemeinsamen Ausloten eines Prozesses, der den unterschiedlichen Motivationen, strukturellen, institutionellen und persönlichen Voraussetzungen, Bedürfnissen und Zielen möglichst gerecht wird. Welche Interessen verfolgen Lehrende, Schulleiter*innen, Schüler*innen, Forscher*innen und Praxispartner*innen mit dem Projekt? Und (wie) lassen sich diese übereinbringen? Damit die Zusammenarbeit innerhalb einer äusserst heterogenen Gruppe – schon allein hinsichtlich Rollen und Status – gelingen kann, braucht es neben motivierten Initiator*innen, einem ausgereiften Konzept und engagierten Einzelpersonen vor allem jede Menge Zeit. Und finanzielle Ressourcen, damit langfristig Strukturen und Plattformen entstehen können. Hierfür wiederum braucht es Fördermittel und Fördergeber*innen, die sich für partizipative Forschungs-Lernräume stark machen.
So hat es sich Österreichs Agentur für Bildung und Internationalisierung (OEAD) mit dem Förderprogramm Sparkling Science zum Ziel gesetzt, eine Brücke zwischen Forschung und Bildung zu schlagen. Ermöglicht wird dies durch das österreichische Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Die Sparkling Science Förderlinie richtet sich gezielt an Citizen Science-Vorhaben, die aktiv Schüler*innen und darüber hinaus Teilnehmende aus der Bevökerung einbeziehen. Und das mit einer beachtlichen Fördersumme, die so einiges möglich macht: seit Herbst 2022 werden 34 Projekte gefördert, insgesamt mit 11,5 Mio. Euro. Die Bandbreite der Themen ist nicht weniger beeindruckend: Soziale Inklusion durch Telepräsenzsysteme, sozio-ökologischer Wandel, Vielsprachigkeit, der Einfluss kolonialer Vergangenheit auf die Gegenwart, Biodiversität und Artenschutz und viele mehr.
Wenn es um die Planung und Durchführung von Citizen Science-Projekten in Schulen geht, sind jedoch auch kontextspezifische Besonderheiten zu beachten. Zunächst eine konzeptionelle Frage, zu der es keine eindeutige Antwort gibt: Kann es sich per Definition überhaupt um «Citizen Science» handeln, wenn die Teilnahme der Schüler*innen am Forschungsprojekt in den Unterricht eingebunden ist und damit per se nicht freiwillig erfolgt? Gibt es Möglichkeiten, dieses Moment der Freiwilligkeit im Rahmen eines partizipativen Entscheidungsprozesses herzustellen, zum Beispiel mittels des Konsensprinzips? Hierbei handelt es sich mit Sicherheit – wie auch bei den Projekten selbst – um ein empirisches Unterfangen und eine Frage, die es in der Praxis zu stellen und zu bearbeiten gilt.
Je nach Land, Kanton, oder Bundesland und Schulform bestehen zudem Besonderheiten und Unterschiede in Bezug auf die Möglichkeiten und Barrieren zur Integration von Citizen Science-Projekten in den schulischen Alltag. Wie kann ein Projekt in den bestehenden Lehrplan integriert werden, vor allem, wenn es sich um transdisziplinäre Ansätze handelt, die auf einen fächergebundenen Stundenplan treffen? Wie können Lehrpersonen ihre Rolle im Rahmen des Projekts ausgestalten? Kann der Mehraufwand für Lehrpersonen aufgefangen werden, den die Projektteilnahme unweigerlich mit sich bringt? Und wenn ja, wie? Welche Genehmigungen braucht es, um das Vorhaben umsetzen zu können? Und ganz pragmatisch: Wie können Lehrpersonen erreicht und für das Projekt gewonnen werden? Was brauchen sie, damit das Projekt für sie lohnenswert ist? Und wie können Schüler*innen zur Teilnahme motiviert werden?
Damit nicht jedes Citizen Science-Schulvorhaben von null anfangen und das Rad wieder neu erfinden muss, bietet die Arbeitsgemeinschaft «Citizen Science in Schulen» von «Bürger schaffen Wissen» eine Plattform zur Vernetzung, zum Austausch und zum miteinander und voneinander Lernen. Hier werden Praxiserfahrungen geteilt und gemeinsame Fragen besprochen. So ergeben sich wertvolle Synergien und hilfreiche Materialien können zirkulieren. So zum Beispiel die soeben (November 2023) erschienene Publikation «Citizen Science mit Schulen. Ein Leitfaden mit 10 Empfehlungen für Projektinitiator*innen», der im Rahmen der Arbeitsgruppe «Citizen Science in Schulen» in Zusammenarbeit mit «Bürger schaffen Wissen» erarbeitet wurde. Oder die 2021 erschienene Handreichung «Citizen Science. Forschen mit Schulen. Grundlagen, Empfehlungen & praktische Tipps für gemeinsame Projekte» entwickelt von der vom OeAD-Zentrum für Citizen Science geleiteten österreichischen Arbeitsgruppe «Citizen Science an/mit Schulen».
1 Der Preis wurde 2023 im Rahmen des Citizen Science Forums erstmalig verliehen und wurde ermöglicht durch «Wissenschaft im Dialog» und dem Museum für Naturkunde in Berlin im Rahmen des Projekts «Bürger schaffen Wissen».
Hat der Artikel Euer Interesse für Citizen Science an Schulen geweckt? Habt Ihr selbst eine Idee für ein Projekt oder sucht Inspiration? Kommt gerne auf uns zu: Citizen Science Zürich unterstützt Euch mit Fachwissen, Netzwerken und Tools, um zum Gelingen schulischer Citizen Science-Projekte beizutragen. Schreibt uns: info@citizenscience.ch
Melanie Brand